Die Zukunft eingetaktet

Wenn der interne Werkzeugbau zur Kernkompetenz eines Unternehmens zählt, liegt die Messlatte meist sehr hoch. Die Nähe zur Produktion, zum Kunden ermöglicht die frühe Einbindung der Werkzeugbauer in die Produktentwicklung. Sieger und Finalist der Kategorie „Interner Werkzeugbau über 100 Mitarbeiter“, die Werkzeugbauten der Hirschvogel-Gruppe sowie der Werkzeugbau der Marke Volkswagen in Wolfsburg, sorgen in einem engen Netzwerk für gleichbleibend hohe Qualität über alle Werkzeugbauten ihrer gesamten Unternehmensgruppe.

„Als Automotive-Zulieferer folgen wir unseren Kunden – weltweit. Das bedeutet auch, dass wir weltweit Werkzeugbau-Kapazitäten benötigen“, betont Christian Hinsel, Leiter Werkzeugbau bei der Hirschvogel Umformtechnik GmbH in Denklingen. „Wir sind hier Zentrale des weltweiten Hirschvogel-Werkzeugbau-Netzwerks.“ Egal ob in Bayern, Thüringen oder einem außereuropäischen Standort – die Qualität der Werkzeuge folgt weltweit den gleichen Maßstäben.

„Das bedeutet, dass zwar die zentralen Entscheidungen im Wesentlichen hier fallen, die Lieferanten zentral von hier aus qualifiziert werden und auch die wesentlichen Neuentwicklungen in Denklingen laufen“, erläutert Hinsel. „Dass dieses Know-how dann in unsere anderen Standorte portiert wird, ist aber keine Einbahnstraße – wir sind uns hier im Zentralbereich sehr wohl bewusst, dass wir auch von den anderen Werkzeugbauten unseres Verbunds viel lernen können.“

Die weltweite Vernetzung ist ohne leistungsfähige Infrastruktur, die relevante Informationen an allen Standorten zur Verfügung stellt, kaum zu bewältigen: „Wir haben ständig weltweit mehr als 3000 Fertigungsaufträge laufen – diese terminlich einzuhalten und kostenoptimiert abzuwickeln wäre ohne ein Tool wie SAP schlicht nicht möglich“, betont Hinsel. „SAP bedeutet zwar im ersten Step viel Aufwand. Wenn das System aber läuft, wenn beispielsweise auch der Maschinenbediener alle für ihn wichtigen Daten aus der Software bekommt, dann kann man sehr schnell und sehr flexibel auf alle Anforderungen reagieren.“

Qualifizierung hat hohen Stellenwert
Wichtig hierfür sind qualifizierte und engagierte Mitarbeiter. „Die Aus- und Weiterbildung hat bei uns einen hohen Stellenwert – und zwar international“, betont Hinsel. „So arbeiten wir beispielsweise auch in China mit Ausbildungseinrichtungen zusammen. In Deutschland haben wir an der Prozesslernfabrik in Darmstadt teilgenommen, auch an der Werkzeugbau-Akademie in Aachen werden wir uns aktiv beteiligen. Und innerbetriebliche Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen sorgen für eine kontinuierliche Personalentwicklung.“ Motivierte, leistungsfähige und gut ausgebildete Mitarbeiter sind ein wichtiger Faktor für mehr Effizienz: „Allein aufgrund der Mehrmaschinenbedienung, die wir in den meisten Bereichen eingeführt haben, konnten wir unsere Kosten um 15 bis 20 Prozent verringern.“

Der Anteil an Wiederholwerkzeugen ist sehr hoch, Korrekturen und Reparaturen werden in die normale Prozesskette eingesteuert. Um die Durchlaufzeiten zu reduzieren, setzt Hirschvogel auf getaktete Prozessketten: „Wir haben für die Gesenkblockbearbeitung eine ,S-Bahn‘ eingeführt – hier sind die Bearbeitungsschritte in einem festen Rhythmus getaktet“, erläutert der Leiter Werkzeugbau. „Das ist zwar nicht in jedem individuellen Fall die schnellste Methode, aber sie bietet mit ihren konstanten Durchlaufzeiten einen sehr hohen Grad an Verlässlichkeit.“ Diese hohe Verlässlichkeit ermöglicht es, exakt nach Bedarf zu produzieren. „So konnten wir unsere Umlaufbestände um 60 Prozent senken.“

Ganzheitliche Betrachtung
Die ganzheitliche Betrachtung der Prozessketten setzt sich immer mehr durch: „Früher hat man sich nahezu ausschließlich auf die einzelnen Prozesse konzentriert – jetzt werden die Abläufe immer stärker mit einbezogen“, erklärt Hinsel. „Mit der Zusammenfassung von Arbeitsschritten auf einer Maschine haben wir Durchlaufzeiten halbiert.“

Der Werkzeugbau arbeitet sehr eng mit den internen Kunden – der Produktion – zusammen, ist sehr früh auch schon in die Produktentwicklung eingebunden. Qualität und Kosten stehen im Fokus, Abweichungen vom Soll werden sehr genau analysiert. „Die laufende Optimierung der Werkzeugstandmengen stellt ein erhebliches Pozential für Kosteneinsparungen dar“, ist Hinsel überzeugt. „Deshalb ist die enge Zusammenarbeit mit der Produktion sehr wichtig für uns.“

Leitfunktion in der Marke
Auch in Wolfsburg bei Volkswagen arbeitet der Werkzeugbau sehr eng mit Produktentwicklung und Produktion zusammen, Wolfsburg hat die Leitfunktion im Rahmen des Werkzeugbauverbundes Marke Volkswagen. „Der Werkzeugbau ist von der Vorstandschaft im Volkswagen-Konzern als Kernkompetenz definiert worden“, erklärt Gerd Rupp, Leiter des Werkzeugbaus Marke Volkswagen. „Qualität ist für uns die oberste Maxime – die Werkstücke, für die wir unsere Werkzeuge fertigen, müssen extrem genau sein. Das zeigt sich beispielsweise bei der ,Tornado­linie‘ an Seitenteilen und Türen: Hier würden kleinste Abweichungen auch dem ungeübten Auge sofort auffallen. Von Volkswagen erwartet man höchste Präzision, die mit viel Liebe zum Detail umgesetzt wird.“

Deshalb bezieht das Design die Kompetenz des Werkzeugbaus bei der Produktentwicklung sehr eng mit ein. Anhand von Datenkontrollmodellen wird die Machbarkeit überprüft, jedes fertige Werkzeug wird nach Fertigung der ersten werkzeugfallenden Teile im Tryout nochmals zusammen mit der Produktion eingehend analysiert. Auch während der Produktion halten die Werkzeugbauer sehr engen Kontakt zu ihren Werkzeugen – so ist mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen eine kontinuierliche Verbesserung sichergestellt.

Benchmark

Hirschvogel setzt auf getaktete Prozessketten: Die ,S-Bahn‘ ist zwar nicht in jedem Fall die schnellste Methode, aber sie bietet mit konstanten Durchlaufzeiten einen hohen Grad an Verlässlichkeit.

Grundlegende Umstellung
In Wolfsburg sind die Abläufe im Werkzeugbau grundlegend umgestellt worden – von der klassischen Werkstattfertigung zum durchgängigen synchronen Arbeiten in einer Takt- oder Fließfertigung. „Unsere Abläufe basieren auf dem Produktionssystem ,Volkswagen-Weg‘ und bilden die Basis für die Zielerreichung der Strategie ,Mach 18‘“, erklärt Rupp. „Wir haben 2007 mit der Umstrukturierung begonnen. Begleitend zu der Umstellung der Abläufe, der Änderung des Hallenlayouts und der Investition in neue Maschinen wurden die Mitarbeiter geschult. Wir haben Ziele gesetzt, exakte Stellen- und Kompetenzbeschreibungen für die Mitarbeiter ausgearbeitet und ihnen in Seminaren und Lehrgängen das Rüstzeug vermittelt, das sie für ihre Aufgabe benötigen.“

Um die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter nachhaltig und systema-tisch voranzutreiben, verfügt der Werkzeugbau über eine interne Werkzeugbau-Akademie. Die Werkzeugbauer in Wolfsburg arbeiten in Teams und organisieren sich weitestgehend selbst. Die Mehrmaschinenbedienung ist inzwischen fest etabliert. „Diese Strukturen und das Prinzip des synchronen Werkzeugbaus werden sukzessive auch auf die anderen Werkzeugbauten des Verbunds in der Marke Volkswagen übertragen“, erklärt Rupp.

Standards sind konsequent in allen Bereichen festgelegt
Neben neuen Maschinen und qualifizierten Mitarbeitern legen die Verantwortlichen großen Wert auf Ergonomie und auf Flexibilität – so erleichtern beispielsweise Kipptische und Flurkräne die Arbeit, externe Rüstplätze bringen die Rüstzeiten weg von der Maschine. Standards sind konsequent in allen Bereichen festgelegt: „Das zieht sich wie ein roter Faden von den Konstruktionsrichtlinien über die genau definierten Plätze für zu bearbeitende Rohteile bis zur in der Arbeitsvorbereitung detailliert ausgearbeiteten Aufspannlage eines Werkstücks auf der Maschine“, erklärt Rupp. „Alle Prozesse laufen synchronisiert und harmonisiert, sogar die Konstruktion.“

Neben dem ausgeprägten KVP-Prozess gehört im Werkzeugbau inzwischen ein ausgeprägtes innerbetriebliches Vorschlagswesen zur Unternehmenskultur. „Gerade von den Leuten an der Maschine kommen viele gute Ideen“, erklärt Rupp. „Bei uns werden pro Mitarbeiter im Jahr rund 1,3 Ideen generiert. Neben der Kaltumformung stehen wir inzwischen auch auf dem Gebiet der Warmumformung hochfester Teile technologisch sehr weit vorn. Wir entwickeln uns kontinuierlich weiter, damit wir unserem Leitbild ,Anspruchvollstes Design realisiert durch Kompetenz‘ auch in Zukunft gerecht werden können.“

Begründung der Jury

Werkzeugbau der Hirschvogel Automotive Group
Der Hauptsitz der Hirschvogel Automotive Group ist in Denklingen (Bayern). Das Unternehmen zählt mit mehr als 3000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 600 Mio. Euro zu den weltweit größten Automobilzulieferern im Bereich der Massivumformung und Zerspanung. Das eng kooperierende Netzwerk aus Hirschvogel-Werkzeugbauabteilungen an sechs Standorten weltweit (Denklingen, Marksuhl, Schongau, Columbus/Ohio, Queimados/Brasilien, Pinghu/China) stellt die Versorgung der Gruppe mit Umformwerkzeugen, Anlagenteilen, Vorrichtungen und den zugehörigen Serviceleistungen sicher. Die globale Kooperation sorgt für wettbewerbsfähige Kosten und den optimalen Ausgleich von Kapazität auf Basis gemeinsamer Standards. Die Werkzeugbauabteilungen der Hirschvogel Automotive Group sehen sich als Technologieführer in der Herstellung von Werkzeugen und Vorrichtungen für das Gesenkschmieden, das Halbwarm- und Kaltumformen und das Aluminiumschmieden. Zu den Kernkompetenzen des Werkzeugbaus gehören das HSC-Fräsen und die Hartbearbeitung.

Werkzeugbau Marke Volkswagen, Wolfsburg
Im internen Werkzeugbau Marke Volkswagen am Standort Wolfsburg wurde im Zuge einer umfassenden Neuorganisation seit 2007 die getaktete Fließfertigung eingeführt. Der Werkzeugbau Marke Volkswagen tritt überwiegend als Baugruppen-Systemlieferant auf. Das bedeutet, er liefert nicht nur die Presswerkzeuge für Außenhautkarosserieteile, sondern auch die entsprechenden Karosseriebauanlagen und Prüfmittel. Diese Kompetenz­erweiterung soll den Werkzeugbau befähigen, sich vom reinen Betriebsmittellieferanten zum Prozessgestalter zu wandeln.

Stärkeprofile

Werkzeugbau der Hirschvogel Automotive Group

  • sehr gutes Lieferantenmanagement
  • hohe Ausbildungsquote und hohe Mitarbeiterqualifikation sowie eigenes Ausbildungszentrum
  • komplexes Produktspektrum in der Massiv­umformung und frühe Einbindung in die Produktentwicklung
  • Förderung des interkulturellen Austauschs und Vernetzung mit weltweit verteilten Standorten
  • systematisches Vorschlagswesen inklusive Anreizsystem
  • sehr gute Einbindung in die Produktentwicklung
  • stringenter Einsatz des Planungssystems für die Werkzeugfertigung

Werkzeugbau Marke Volkswagen, Wolfsburg

  • Umsetzung des synchronen Werkzeugbaus in Verbindung mit umfassendem Controlling
  • sehr gute Einbindung der Mitarbeiter in Veränderungsprozesse
  • hohe Flexibilität der Mitarbeiter für weltweiten Einsatz
  • systematisches Projektcontrolling
  • zentrale Position der WZ-Entwicklung in der gesamten VW-Produktentwicklung
  • gezielte Kundenbefragung
  • Angebot eines sehr breiten Dienstleistungsspektrums
  • hohes Qualifikationsniveau der Mitarbeiter
  • Umfangreiche Investitionen in den Maschinenpark in den letzten Jahren

Im Profil

HirschvogelWerkzeugbau der Hirschvogel Automotive Group

  • Produkte: Warm-, Halbwarm-, Kaltmassivumformwerkzeuge, Prüfmittel, Vorrichtungen
  • Kunden: Presswerke im Hirschvogel-Konzern
  • Maschinenpark: Fertigungstiefe mit mehr als insgesamt 100 Werkzeugmaschinen in den Bereichen 3- und 5-Achs-HSC-Fräsen, NC- und Zyklendrehen, Schleifen, Senkerodieren, Drahterodieren, Sägen, Wärmebehandlung
  • Anzahl Mitarbeiter: 314 (zuzüglich 36 Auszubildende)
  • Besonderheiten: sehr enge weltweite Vernetzung der Werkzeugbau-Abteilungen an sechs Standorten im Konzern.
  • Kontakt: Hirschvogel Umformtechnik GmbH Werkzeugbau, D-86920 Denklingen, Tel.: 08243/291-0, www.hirschvogel.de

Werkzeugbau Marke Volkswagen, Wolfsburg

  • Produkte: Blechverarbeitungs-Werkzeuge, WarmmassivumformwerkzeugeVW
  • Kunden: Presswerke der Marke Volkswagen, andere Presswerke im Konzernverbund, externe Presswerke
  • Anzahl Mitarbeiter: 678 (zuzüglich 40 Auszubildende)
  • Besonderheiten: synchronisierter Werkzeugbau mit durchgängigem Controlling
  • Kontakt: Volkswagen AG Werkzeugbau Marke Volkswagen, D-38440 Wolfsburg, Tel.: 05361/9-0, www.volkswagen-ag.de

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