Praxis trifft Vision

Das Werkzeugbau-Kolloquium ist in jedem Jahr ein fester Termin in den Terminkalendern zahlreicher Führungskräfte aus innovativen Werkzeug- und Formenbauunternehmen. Neben den hochkarätigen Vorträgen aus Wissenschaft und Praxis und einer kleinen, aber feinen Zulieferer-Ausstellung steht insbesondere der Austausch untereinander im Vordergrund. Die Veranstaltung in Aachen ist ein Forum für aktuelle Themen, die die Unternehmen der Branche bewegen – jetzt und in Zukunft.

Mit einem sehr persönlich geprägten Überblick „Zehn Jahre Excellence in Production – eine Branche im Wandel“ zeigte der emeritierte Professor Walter Eversheim, wie sich der Werkzeug- und Formenbau schon binnen kurzer Zeit gravierend verändert hat. Von der zunehmenden Verbreitung der 5-Achs-Maschinen in der Branche über die fortschreitende Automatisierung – die Industrialisierung schreitet voran, wie Eversheim an so grundverschiedenen Organisationen wie dem Audi Werkzeugbau mit 1600 Mitarbeitern weltweit einerseits und dem Fassnacht Werkzeug und Formenbau mit 20 Mitarbeitern andererseits zeigen konnte. Mit Blick auf die Zukunft verwies er auf Handlungsfelder wie die generativen Technologien, Digitalisierung und Automatisierung, aber auch den zunehmenden Stellenwert einer intelligenten Vernetzung der Unternehmen in der Branche.

Möglichkeiten generativer Fertigung
Die Möglichkeiten und Grenzen der generativen Fertigung zeigte Kristian Arntz in seinem Impulsvortrag. Die technologische Entwicklung auf dem Gebiet der generativen Verfahren ermöglicht immer höhere Bauteilqualitäten. Neue Geschäftsmodelle entstehen, die Prozessketten deutlich verkürzen. Arntz stellte speziell einige metallverarbeitende generative Technologien vor und zeigte, was technisch machbar ist, wo die Vorteile liegen, aber auch, wo derzeit die limitirenden Faktoren zu verorten sind. Die Baugeschwindigkeit bei der Herstellung von metallischen Werkstücken in generativen Verfahren liegt nach wie vor um Größenordnungen unter der Geschwindigkeit, in der Werkstücke zerspanend gefertigt werden. Auch die erzielbaren Genauigkeiten sind bei gefrästen Teilen bei Weiten besser.

Das sagt die Redaktion

Im Westen viel Neues
Mindestens einmal im Jahr ist Aachen für den deutschsprachigen Werkzeug- und Formenbau ein Pflichttermin: Das Werkzeugbau-Kolloquium zeigt neue Trends und Entwicklungen in der Branche auf und gibt Orientierung in einer Zeit, in der der Werkzeug- und Formenbau hierzulande im Umbruch ist. Hier kann die Branche Wissen tanken – in den Vorträgen, in der begleitenden Ausstellung, vor allem aber auch im Gespräch der Werkzeug- und Formenbauer untereinander. „Lernen von den Besten“ – die deutschen Werkzeugbauer sind innovativ, sie sehen sich weltweit an der Spitze. Und gemeinsam, das ist die Erkenntnis, die sich langsam durchsetzt, kommt man weiter: Wer von den Besten lernen will, muss auch sich selbst ein wenig öffnen für andere.

„Metallische Funktionsbauteile können in der Regel nicht einsatzfertig mit generativen Verfahren hergestellt werden“, zog Arntz Bilanz. „Vielmehr ist die Nutzung verfahrensindividueller Stärken und deren Kombination in integrierten Prozessketten notwendig.“ So lassen sich etwa über generative Technologien Anforderungen an sehr komplexe Geometrien oder individuelle Bauteile realisieren, während nachgelagerte Prozesse dann für die geforderte Genauigkeit und die Benchmark 2gewünschten Oberflächen sorgen. So entsteht im Zusammenspiel ein einsatzfähiges Produkt.

Die Außenwirkung ist oft frappierend: „In der Serienfertigung ist auf Bruchteile von Cents optimiert, im Werkzeugbau dagegen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.“ Günter Sprecher, Leitung Center Betriebsmittel in Sindelfingen und Bremen bei der Daimler AG, sieht die Notwendigkeit zum Wandel auch und gerade im Werkzeugbau. In seinem Referat „Der automatisierte Werkzeugbau“ zeigte er unter anderem, wie sich bislang manuelle Tätigkeiten auch bei Losgröße 1 automatisieren lassen.

Wandel bei Mitarbeitern notwendig
Benchmark 3Das bedingt nicht nur Veränderungen in Organisation und Technik, sondern auch einen Wandel bei den Mitarbeitern: „Gefragt ist in Zukunft weniger der handwerkliche Allrounder als vielmehr der technologieorientierte Teamexperte“, erklärte Sprecher. „Die zunehmende Digitalisierung stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter – viele Aufgaben können nur noch im Team gelöst werden.“ Um den Mitarbeitern das dafür notwendige Rüstzeug zu geben, hat man im Center Betriebsmittel bei Daimler eine „BM-Lernfabrik“ geschaffen. In Zukunft sieht Sprecher zudem immer mehr automatisierte Prozesse, in denen mit umfrangreicher Sensorik ausgestattete Roboter zunehmend Aufgaben übernehmen werden.

Unter dem Titel „Exportschlager deutsche Werkzeuge – Technologie für den Weltmarkt?“ erläuterte Franz Tschacha, Geschäftsführer bei der Deckerform Technologies GmbH in Aichach, wie sich ein mittelständisches Unternehmen mit rund 60 Mitarbeitern (davon 10 Auszubildende) für den globalen Wettbewerb aufstellt. Gingen im Jahr 2002 fast 80 Prozent der Werkzeugproduktion ins Inland, hat sich das bis zum vergangenen Jahr auf weniger als 40 Prozent reduziert. Das technisch perfekte Werkzeug ist dabei nur ein Erfolgsfaktor – Tschacha sieht sein Unternehmen in erster Linie auch als „Ideenschmiede“, die sich in die Überlegungen und Prozesse der Kunden schon sehr früh einklinkt und so einen deutlichen Mehrwert im Sinne beispielsweise von optimierten Prozessen bieten kann.

Trends µ-genau

14. Kolloquium „Werkzeugbau mit Zukunft“ in Aachen
Der Branchenevent geht im kommenden Jahr in seine 14. Runde. Am 4. November 2014 wird traditionell am Vorabend des Kolloquiums im Krönungssaal des historischen Aachener Rathauses die Preisverleihung des Benchmark-Wettbewerbs „Excellence in Production“ vorgenommen, bei der der „Werkzeugbau des Jahres 2014 gekürt wird. Am 5. November laden IPT und WZL dann zum Kolloquium ein, das wieder zahlreiche interessante Vorträge von hochkarätigen Referenten aus Industrie und Hochschule verspricht. Eine begleitende Ausstellung zeigt Neues und Nützliches für den Werkzeug- und Formenbau. Eine wichtige Funktion dieser Veranstaltung ist indes der Austausch der Teilnehmer untereinander – die offene Atmosphäre schafft durchaus fruchtbare Ansätze zur Kooperation unter den Unternehmen.

Gut vorbereitet in den Export
„Wer im Ausland Erfolg haben möchte, muss zunächst im Inland wettbewerbsfähig sein“, erklärte Tschacha. Darüber hinaus ist ihm wichtig, dass im Unternehmen Klarheit und auch Einigkeit über die Ziele herrscht – die Vision, ein „Exportweltmeister“ zu werden, muss in die Unternehmenskultur integriert werden. Unerlässlich für einen erfolgreichen Schritt ins Ausland sind aber auch Faktoren wie ein passender Vertriebspartner vor Ort und der persönliche Besuch wichtiger Kunden. Darüber hinaus sind Kenntnisse in der Landessprache von Vorteil, ebenso die Präsenz auf internationalen Messen, Unterlagen in der Landessprache und vieles mehr.

Günther Hofmann, Geschäftsführer beim Werkzeugbau Hofmann in Lichtenfels, referierte zum Thema „Generative Fertigung mit LaserCusing – unbeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten für den Formenbau“. Er zeigte anhand von Beispielen Benchmark 4aus der Praxis, wie sich mit sinnvoller Kombination aus generativem Verfahren und klassischer Fräsbearbeitung intelligente Hybridbauteile mit einzigartigen Eigenschaften schaffen lassen – speziell bei der konturnahen Kühlung kann das Verfahren seine Vorteile ausspielen. So lassen sich beispielsweise über schnellere Abkühlphasen Zykluszeiten effektiv reduzieren.

Zahlreiche Einsatzmöglichkeiten
„LaserCusing hat sich bei der Herstellung konturnaher Temperierkanäle etabliert“, erklärte Hofmann. „Mittels dieser Technologie lassen sich aber auch beispielsweise Mikrokanäle als Druck-luftauswerfer oder zum Ansaugen von Einlegeteilen gezielt integrieren. Auch für andere Werkzeugarten – etwa für Partikelschaumwerkzeuge – kann das Verfahren Vorteile bringen.“ Mit der Entwicklung weiterer verwendbarer Materialien und größerer Maschinen, so Hofmann, werden sich wohl auch neue Felder für das LaserCusing erschließen.

Über „Technologieintegration in der Stanztechnik“ sprach Johannes Heinrich Schleifenbaum, Head of Tool Shop Metals Stamping Parts Production and Tooling bei der Phönix Feinbau GmbH in Lüdenscheid. Nach einem historischen Abriss, der die Entwicklung im Stanzwerkzeugbau aufzeigte, gab er einen Überblick über den Stand der Technik – in heutigen Umformwerkzeugen sind unter Benchmark 5anderem beispielsweise Fügetechnologien wie Clinchen, aber auch Schweißen integriert, werden Stanzteile umspritzt, wird zerspant, wärmebehandelt, geprüft und vieles mehr.

Dabei ist die Technologieintegration nicht ein Allheilmittel: „Jedes Werkstück ist anders, jedes Produkt besitzt ein individuelles Anforderungsprofil“, betonte Schleifenbaum. „Abhängig von Faktoren wie etwa der gewünschten Stückzahl kann es in vielen Fällen wirtschaftlicher sein, über eine Technologieseparation beispielsweise eine kostengünstige Kleinserienproduktion zu realisieren.“

Nicht nur externe Werkzeugbauten müssen sich gewachsenen Anforderungen stellen: Unter dem Motto „innovative Werkzeugkonzepte – Umfeld und Anforderungen an einen internen Werkzeugbau“ erklärte Christoph Ernst, Leiter Vertrieb bei der Kunststoff Helmbrechts AG in Helmbrechts, wie sich der Anspruch „Alles aus einer Hand“ im Unternehmen verwirklichen lässt. Obwohl intern, muss sich der Werkzeugbau dem Wettbewerb unter anderem mit chinesischen Marktbegleitern stellen. Dabei sind unter anderem umfangreiche Projekte mit bis zu 40 Werkzeugen gleichzeitig abzuwickeln.

Neben organisatorischen und technischen Strukturen sind die Mitarbeiter ein wichtiger Faktor. „In Deutschland kann Werkzeugbau dank technischem Vorsprung überleben“, ist sich Ernst sicher. „Das bedeutet aber auch, dass wir weiter neue Techniken entwickeln müssen. Andererseits wird die globale Präsenz, die Erschließung neuer Märkte immer wichtiger. Eine weitere Herausforderung ist die Begeisterung des ,Nachwuchses‘ für technische Berufe.“

Nicht immer ist Europa vorn
Markus Rupp, Director ATC bei Audi China, berichtete über „Werkzeugbau in China – Erfahrungen aus OEM-Sicht“: „Für den Audi-Footprint in China ist eine Lokalisierung der Werkzeugbaukompetenz erforderlich“, erklärte er. „Projekte in China und Europa können so in der benötigten Qualität abgearbeitet werden.“ In China gibt es mehr als 10 000 Werkzeug- und Anlagenbauunternehmen mit Betriebsgrößen zwischen 10 und mehr als 3000 Mitarbeitern.

In einer Lieferantenbewertung verglich Audi sie mit europäischen Unternehmen. „Während das Ausbildungsniveau der Facharbeiter dort weit hinter dem europäischen zurückliegt, überrascht das Niveau der Angestellten – hier spielt die Benchmark 6hohe Lernbereitschaft der Chinesen sowie zahlreiche Ingenieure mit ausländischem Hochschulstudium eine positive Rolle“, erklärte Rupp. „Durchlaufzeiten sind tendenziell in China kürzer als hierzulande, dafür stimmen Qualität und Projektmanagement oft nicht.“ Die Zusammenarbeit mit chinesischen Lieferanten bringt nach seiner Erfahrung keine „quick wins“. Soll sie erfolgreich sein, erfordert sie unter anderem viel Geduld, eine gewisse Liebe zum Detail, eine gute Verhandlungsstrategie sowie vor allem Ausdauer.

Mit Spannung erwartet wurde der Vortrag „Werkzeugbau 4.0. Vernetzte Wertschöpfung als Erfolgsfaktor“ von Professor Günther Schuh. Dampfmaschine, Taylorismus und Automatisierung markieren die erste, zweite und dritte industrielle Revolution. „Die vierte industrielle Revolution ist charakterisiert durch Kollaboration in sozialen Netzwerken“, führte Schuh aus. „Dabei wird das vernetzte Denken und Handeln des Menschen durch cyberphysische Systeme in der Industrie 4.0 adaptiert.“

Netzbasierter Datenaustausch entlang der Produktion, eine enthierarchisierte Steuerung der Produktion und Wissensrückführung in Echtzeit sind Prinzipien der Industrie 4.0, die bereits in zahlreichen Unternehmen der produzierenden Industrie eingesetzt werden. „Sie alle bauen auf dem Prinzip der Kollaboration auf“, erläuterte Schuh.

Auch die Zukunft des Werkzeugbaus liegt seiner Meinung nach in der Kollaboration. „Der Werkzeugbau 4.0 ist gekennzeichnet durch eine Kollaboration in vier Handlungsfeldern: der internen Wertschöpfungskollaboration, der Integration externer Wertschöpfungspartner sowie der vor- und nachgelagerten Kundenintegration“, erläuterte Schuh. „Zukünftig muss der Werkzeugbau neue Lösungsansätze finden, um diese vier Themenfelder noch besser erschließen zu können.“ Rw

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