Unternehmer an der Maschine

„Wir setzen auf unternehmerisch denkende Mitarbeiter.“ Matthias Hänsel, Bereichsleiter Werkzeugbau und Technologie im Geschäftsbe-reich Massivumformung der Thys-senKrupp Presta AG, bringt einen der wesentlichsten Erfolgsfaktoren im Werkzeugbau des Unternehmens auf den Punkt: „Wir haben inzwischen eine sehr flache Hierarchie mit aus-geprägten Teamstrukturen. Wir set-zen in hohem Maß auf die Eigenver-antwortung unserer Leute.“

Am Standort Oberegg fertigen hochqualifizierte Fachleute Werk-zeuge für die Kalt-Massivumformung von Komponenten im Antriebsstrang und für Lenksysteme. „Unsere Mit-arbeiter haben einen sehr hohen Rei-fegrad, die organisieren sich im Team selbständig“, erklärt Hänsel. „Auch bei Neuanschaffungen beispielsweise von Maschinen sind die Teams sehr eng involviert.“ Damit die Mitarbeiter erfolgreich arbeiten können, ste-hen ihnen alle Informationen – insbesondere auch die betriebswirtschaftlichen – zur Verfügung. Eine an der Teamleistung orientierte Prämie be-teiligt die Mitarbeiter direkt am Er-folg ihres Unternehmens.

„Wir sehen uns als Kompetenz-zentrum für die Hartfeinbearbeitung im Konzern“, erklärt Matthias Ober-parleiter, Leiter des Werkzeugbaus. „Die Werkzeuge stellen sehr extreme Anforderungen – die Stähle, die wir verarbeiten, haben in der Regel Här-ten zwischen 60 und 67 HRC.“ Dazu kommen sehr hohe Genauigkeitsan-forderungen: „Ein Hundertstel ist fast schon die Regel, der Wunsch nach ± 5µ kommt immer öfter – und das auf relativ großen, komplexen Flächen. Ganz zu schweigen von den sehr genauen Verzahnungswerkzeugen.“

Hänsel und Oberparleiter führen den Werkzeugbau wie ein eigenes Unternehmen: „Sonst taucht der Werkzeugbau oft nur als Cost-Center, als wenig transparenter Kostenblock in der Unternehmensgruppe der Presta AG auf“, erklärt Hänsel. „Mit unserer Ausrichtung als Profit-Center haben wir den Blick geschärft für Abläufe, Kennzahlen, Lieferzeiten und Zulieferstrukturen. Denn Inves-titionen in den Werkzeugbau sind immer langfristig – und wir müssen schließlich auch gegenüber der Presta-Unternehmensführung zeigen, was in uns steckt.“

Das ist den Werkzeug-Spezialisten auch gelungen. Nicht nur in der Presta-Gruppe, sondern auch für ex-terne Kunden sehen sich die Obereg-ger als kompetenter Dienstleister und Komplettanbieter im Bereich Kalt-massivumformung und darüber hin-aus als Anbieter für Bauteile und Prototypen – je nachdem, wie es die Kapazitäten erlauben. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren sehr stark geöffnet“, betont Oberparleiter. „Damit verbunden war freilich auch ein Umbruch in unseren Strukturen – als interner Lieferant hatten wir ja fast eine ,Planwirtschaft‘.“ Das ist jetzt anders: Die Werkzeugbauer sind sehr stark am Markt orientiert, haben immer die Nase im Wind und sind sehr eng an den Bedürfnissen ihrer internen wie externen Kunden orientiert.

„Wir sind schlank und sehr flexi-bel aufgestellt“, betont Hänsel. „Damit das auch in Zukunft so bleibt, liegen uns zwei Dinge besonders am Herzen: der Umgang mit Wissen und eine ambitionierte Qualitätsphilosophie.“

Das Know-how steckt in den Köp-fen der Mitarbeiter. Im Sinne von „Best-Practice“-Lösungen ist es sinnvoll, Wissen systematisch zu er-fassen und für alle im Unternehmen zur Verfügung zu stellen. „Wir haben uns für eine webbasierte Lösung ent-schieden, die die Mitarbeiter selbst mit Anwendungswissen ,füttern‘“, erläutert Oberparleiter. „Wenn jemand auf ein neues Problem stößt, wird das sofort erfasst; die Lösung ist damit für jeden verfügbar.“ Konkurrenzdenken ist dabei kaum spürbar: „Da das System jedem schon weiter-geholfen hat und für uns die Ge-samtleistung unseres Bereichs im Vordergrund steht, ist die Versuchung, Wissen zu bunkern, sehr gering – es ist ein reges Geben und Nehmen.“

Auch in Sachen Qualität setzen die Werkzeugbauer auf die Qualifikation der Benchmark_2_2Mitarbeiter: „Die Verantwortung für das Werkzeug liegt jetzt komplett bei denen, die es herstellen“, erklärt Hänsel. „Jeder ist verantwortlich – und diese Kultur der Übernahme von Verantwortung wird bei uns auch gelebt.“

Diese strikte Qualitätsorientierung ist ein Faktor, der auch bei Karmann in Osnabrück wesentlich zum Erfolg beiträgt. Dort kommen nur noch rund 10 bis 20 Prozent des Auftragsvolu-mens aus dem eigenen Konzern, der Rest geht an externe Kunden in alle Welt: „Wir stellen uns dem Wettbewerb am Markt“, betont Dr. Thomas Meichsner, Executive Director Pro-duction Technology bei Karmann. „Das bedeutet eine hohe Kundenori-entierung auch für die einzelnen Mit-arbeiter – und damit verbunden ein ausgeprägtes Kosten- und Qualitätsbewusstsein. Wir setzen auf verantwortlich handelnde ,Unternehmer im Unternehmen‘.“

Schon in der Konstruktion sollen Fehlerquellen weitestgehend ausge-schlossen werden. Auch bei Karmann setzen die Verantwortlichen dabei auf eine datenbankgestützte Lösung, in die Erfahrungen einfließen und systematisiert zur Verfügung gestellt werden. „Wir nehmen aus-schließlich geprüfte Programme auf die Maschinen“, erläutert Rolf Roß-bach, Leiter Werkzeugbau bei Kar-mann. „Wir simulieren sehr intensiv – und das zahlt sich aus: Wir haben eine sehr hohe Prozesssicherheit auch in der dritten Schicht.“

Der Produktionsablauf ist nach einem wertstromorientierten Fließprinzip, dem „Value Stream“, konzipiert. Kritische Komponenten werden bereits in sehr frühen Phasen erkannt und mit dem Kunden abgesprochen – damit wird verhindert, dass sich in relativ späten Phasen Probleme ergeben, die nur mit sehr viel Aufwand behoben werden können.

Darauf aufbauend konnten die Verantwortlichen auch die Try-Out-Phasen drastisch reduzieren: „Aufgrund der vorausgehenden Simulationen wissen wir schließlich genau, was beim Try-Out als Ergebnis herauskommt“, betont Roßbach. „Deshalb haben wir unseren ,Try-Out-Bereich‘ in einen ,Buy-Off-Bereich‘ umgewandelt.“

Wer Verantwortung trägt, muss auch die nötigen Informationen haben. Die Verantwortlichen im Karmann-Werkzeugbau setzen auf Transparenz: „Jeder Mitarbeiter bei uns kennt die Kalkulation seiner Kostenstelle und fühlt sich für sein Unternehmen und seine Arbeit ver-antwortlich“, erklärt Roßbach.

Naheliegend – denn diejenigen, die ein Werkzeug produzieren, sind auch für die Inbetriebnahme und Betreuung beim Kunden verantwort-lich. „Und wer einmal beispielsweise bei einem Kunden in China eine Ab-nahme gemacht hat, weiß das zu schätzen, wenn in Konstruktion und Fertigung sauber gearbeitet wurde und alles reibungslos läuft“, ergänzt der Werkzeugbau-Leiter. „Wir wollen m Sinne von Kaizen Verschwendung vermeiden. Deshalb packen wir die Dinge von Anfang an gleich richtig an“, unterstreicht Thomas Meichsner.

Mit einer konsequent optimierten Wertschöpfungskette sieht Meichsner seinen Bereich für die Zukunft sehr gut aufgestellt: „Werkzeuge für die Fertigung der großen Teile werden auch in Zukunft sicher sehr OEMnah gebaut – das ist die Königsklasse beim Umformen“, erklärt er. „Ein interessanter Ansatz sind dabei auch Konzepte für wandlungsfähige Werkzeuge.“

In Osnabrück ist man schon sehr weit beim „Tool-in-Tool“-Konzept: „Die Stückzahlen bei den OEMs ge-hen nach unten – aber die Varianten-vielfalt wächst“, betont Meichsner. „Wenn für jede Variante ein eigenes Werkzeug gebaut werden muss, geht das sehr schnell ins Geld.“

Bei Karmann geht man einen an-deren Weg: Hier werden nur die sich ändernden Bereiche in einem modu-lar aufgebauten Werkzeug ausge-tauscht. „Mit dieser Möglichkeit, viele verschiedene Varianten mit einem einzigen Werkzeugsystem abde-cken zu können, sind wir bezogen auf jede Variante durchaus in der La-ge, mit den Preisen von Billiglohnländern wie China mitzuhalten“, betont Meichsner. „Innovative Ideen und Konzepte sind die große Chance für unsere Branche am Standort Deutschland.“

Begründung der Jury:

ThyssenKrupp Presta-Werkzeugbau, Oberegg/CH
ThyssenKrupp Presta produ-ziert Lenksysteme und No-ckenwellen als Systemlie-ferant für die Automobil-industrie. Darüber hinaus werden anspruchsvolle Prä-zisions-Kaltfließpressteile in Großserie für den Eigenbe-darf und zur Belieferung von Automobilkunden welt-weit gefertigt.
Der Werkzeugbau der Thys-senKrupp Presta AG ist heute als eigenständiger Bereich organisiert und wurde 1941 mit Beginn der Kaltfließpressteileferti-gung der Presta in Liech-tenstein gegründet. Seit 2000 ist die Fertigung am Standort Oberegg in der Schweiz konzentriert. Ent-wicklung und Kons-truktion sind hingegen auch heute noch am Produktionsstand-ort Eschen in Liechtentein angesiedelt.
Als Technologie-Zentrum beliefert der Werkzeugbau das Mutterunternehmen mit Matrizen und Stempeln für die Kaltmassivumformung sowie Betriebsmitteln und Prototypen für alle Ge-schäftsbereiche und Unter-nehmensstandorte weltweit. Aufgrund der weitgehend standardisierten Produkt-familien in der Presserei mit großen Jahresmengen und hohem Werkzeugbedarf werden die Werkzeuge zum Teil in Losen von bis zu 20 Stück produziert. Seit wenigen Jahren wird das strategische Ziel vorange-trieben, auch als Anbieter von technologisch an-spruchsvollen Systemlösun-gen am externen Markt zu agieren.

Karmann-Werkzeugbau, Osnabrück
Die Unternehmensgruppe Karmann bietet Produktideen, Produkte und Ferti-gungsanlagen für die Auto-mobilindustrie an. Mit rund 6600 Mitarbeitern an 14 Standorten in Europa sowie Nord- und Südamerika begreift sich die Karmann GmbH dabei als Full-Service-Vehicle-Supplier für die internationale Au-tomobilindustrie – „vom Modul bis zum Gesamtfahrzeug“.
Neben der Fertigung von Prototypen und Serienwerk-zeugen übernimmt der seit 1948 im Unternehmen ange-siedelte Bereich des Werk-zeugbaus auch das Projekt-management für komplexe Projekte. Die Prozessopti-mierung erfolgt über Simu-lationen aller Umformprozesse und einen ständigen Abgleich der Simulationsdaten während der Werkzeugerprobung sowie einen detaillierten, bereichsübergreifenden SE- und FMEA-Prozess.
Über eine Zusammenarbeit mit Kunden und Zulieferern hinaus sieht sich der Werkzeugbau dank Koopera-tionen mit Hochschulen und Forschungsinstituten als Kompetenzzentrum für den Werkzeugbau. Im Jahr 2004 wurde im Werkzeugbau ein Reorganisationsprozess an-gestoßen, der eine Re-strukturierung und Aus-richtung unter dem Ge-sichtspunkt LEAN Manage-ment zur Folge hatte. Wesentliche Bestandteile sind ein innovatives modulares Werkzeugsystem („Tool-in-Tool“) sowie ein effektives Anlagenmanagement (EAM/TPM), die Ent-wicklung und Einführung eines neuen Werkzeugerstellungsprozesses und Wertstrommanagement (Value Stream).

Stärkeprofil:

ThyssenKrupp Presta-Werkzeugbau, Oberegg/CH

  • Der bereits seit einigen Jahren vorangetriebene Wandel zum „Werkzeug-TechnologieZentrum“ wird konsequent weiterver-folgt
  • Um den steigenden Anfor-derungen nach kurzen Lieferzeiten bei gleich-zeitiger Kostentranspa-renz zu begegnen, wird auch unabhängig vom Kon-zern an der Erweiterung des Dienstleistungsangebots im Hinblick auf Produktentwicklung und Werkzeugauslegung gearbeitet
  • Der Werkzeugbau fungiert als Technologiekompetenz-Zentrum der Firmen-gruppe für die Vakuum-Wärmebehandlung und Hartfeinbearbeitung
  • Philosophie der ständi-gen Veränderung durch kontinuierliche Verbesserung
  • Extrem kurze Durchlaufzeiten bei spezialisiertem Produktspektrum
  • Organisation der Mitar-beiter in Teams mit ei-genen Sprechern
  • Sehr erfolgreiches variables Entlohnungssystem

Karmann-Werkzeugbau, Osnabrück

  • Tool in Tool-System: Wandlungsfähiges System für Großwerkzeuge
  • Weitgehender Einsatz von Simulationssystemen
  • Vollständige parametrische Werkzeugerstellung (Catia V5)
  • Einsatz einer Wissensdatenbank
  • Erfolgreicher Turnaround in den vergangenen Jahren
  • Starke Einbindung der Mitarbeiter im KVP-Systeme
  • Starke Integration in Kundenprozesse
  • Fließende Werkzeugproduktion
  • Vergleich mit dem direkten und indirekten Wettbewerb erfolgt regelmäßig

Im Profil:

Benchmark_2_ThyssenThyssenKrupp Presta-Werkzeugbau, Oberegg/CH

  • Produkte: Kalt-Massivumformwerkzeuge, Vorrichtungen, Automationsteile, Prototypen
  • Kunden: Fertigungsstand-orte im ThyssenKrupp Presta-Konzern, externe Kunden
  • Maschinenpark: ca. 130 Anlagen (ohne Lehrwerk-statt)
  • Mitarbeiter: 140 (davon 25 Auszubildende)
  • Umsatz: 16 Mio. Euro
  • Auftragsbestand: ca. 13000 Aufträge pro Jahr, Durchlaufzeit ca. 20 Tage, ca. 1300 Aufträge parallel in Arbeit
  • Besonderheiten: Unternehmensphilosophie sieht Mitarbeiter als Mit-Unternehmer
  • Kontakt: ThyssenKrupp Presta AG, CH-9413 Obe-regg, Tel.: 0041-71/898-0, www.thyssenkrupp-presta.com

Benchmark_2_KarmannKarmann-Werkzeugbau, Osnabrück

  • Prozesskette Karosseriebau
  • Blechverarbeitungs-Werkzeuge, Karosserie-bauanlagen, Presswerke, Karosseriemodule, Spezialserie
  • Moderne Mechanische Fertigung für große Bauteile
  • Mitarbeiter: 950 (davon 31 Auszubildende)
  • Besonderheiten: erfolgreiche Umsetzung des Value-Stream-Konzepts, wandlungsfähige Werkzeugsysteme (Tool-in-Tool), migrierende Fer-tigungskonzepte, Wissensspeicher, Lean-Management
  • Kontakt: Wilhelm Karmann GmbH, D-49084 Osnabrück, Tel.: 0541/581-0, www.karmann.com

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