“Man braucht die Menschen und das Know-how dahinter”

Herr Wyss, was hat Erowa bewogen, in die Prozessleittechnik ein­zusteigen, und wie überraschend kam für Erowa die Insolvenz von Zwicker Systems?
Franz Wyss: Zunächst war das für uns kein Einstieg. Wir vertreiben die Software seit Jahren unter dem Namen JMS Pro, wir waren also auch Anwender. Die Prozessleittechnik ist für Erowa seit Jahren eine wichtige Säule, denn Automationslösungen sind ohne entsprechende Software nicht denkbar. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir waren nicht so sehr überrascht, wir hatten bereits begonnen, uns auf das Szenario vorzubereiten. Die Bekanntgabe hat uns dann aber doch auch geschockt.

Wie es scheint, waren Sie schnell bereit, hier einzusteigen …
Hans-Jörg Schriegel: Ganz so einfach war es nicht, denn Erowa wollte keine insolvente Firma kaufen, da es für Erowa und andere Bewerber zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, welche unkalkulierbaren Risiken zu erwarten waren. Erowa musste aber sicherstellen, auch künftig Automationslösungen anbieten zu können. Deshalb hat Erowa mit seiner neu gegründeten Tochter Certa Systems ausschließlich die Rechte der Software erworben und alle 24 Mitarbeiter von Zwicker Systems übernommen.

Sie sprechen von Altlasten. Heißt das, Certa Systems möchte damit nichts zu tun haben?
Franz Wyss: Das muss man sicher präzisieren. Es ging dabei ja um Verbindlichkeiten, Gewährleistungen, Garantien und nicht fertig gestellte Projekte. Anwender, die in einer hohen Abhängigkeit zu dieser Prozessleittechnik oder jetzt zu Certa Systems stehen, die können und wollen wir natürlich nicht im Regen stehen lassen. Das heißt, mit allen Anwendern, die bereits Erowa-Kunden sind, wollen wir natürlich weiter zusammenarbeiten. Und es gibt im alten Kundenkreis von Zwicker Unternehmen, die – noch – keine Erowa-Kunden sind. Auch die werden wir künftig betreuen. Bei ein paar wenigen davon wurden Projekte allerdings nicht fertiggestellt. Dafür kann Certa Systems keine Verantwortung übernehmen. Dennoch gab es auch Projekte aus der Vergangenheit, die im Sinne einer partnerschaftlichen Kundenbeziehung neu definiert und umgesetzt wurden.

Sie haben als Unternehmenssitz Fürth gewählt. Hat das einen besonderen Hintergrund?
Hans-Jörg Schriegel: Ja, denn die Rechte an der Software allein reichen ja nicht. Man braucht die Menschen und das Know-how dahinter. Diese ehemaligen Zwicker-Mitarbeiter haben ihren Wohnsitz hier in der Region. Das sind in der Hauptsache Spezialisten, die Installationen, Konfigurationen und die Programmierung durchführen. Unser wichtigstes Kapital, wenn Sie so wollen. Es war eine große Herausforderung, die Kernentwickler, die zum Zeitpunkt der Insolvenz noch bei der tschechischen Tochtergesellschaft, der Zwicker Holding in Pilsen, beschäftigt waren, für Certa Systems zu begeistern.

Das klingt bis hierher alles relativ problemlos. Und trotzdem hat man von Certa Systems ein Jahr lang nichts gehört.
Franz Wyss: Das mag so sein, ganz so problemlos war es aber nicht. Korrekturen aus der Vergangenheit, neue Verträge für die Mitarbeiter, die den Erowa-Strukturen entsprechen, und der Informationsaustausch mit Anwendern haben uns sehr intensiv beschäftigt. Außerdem haben wir bei nahezu null als Start-up-Unternehmen begonnen. Wir haben mit vielen Anwendern Gespräche geführt, um zu definieren, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten können. Und es ging auch darum, neue Aufträge zu generieren. Es mag den Eindruck vermitteln, dass wir die Öffentlichkeitsarbeit vernachlässigt haben. Für Erowa war es die wichtigste Priorität, mit einer gesunden Basis im Markt aufzutreten. Wir gehen das Thema seit Beginn aktiv an und sind seit der EMO 2013 unter anderem mit einer neuen Website präsent.
Hans-Jörg Schriegel: Dem kann ich nur beipflichten. Mit einer Ergänzung. Ein Start-up-Unternehmen hat meist eigene Ideen, beginnt unbelastet und hat es so wesentlich leichter. Bei uns dagegen bestand eine große Belastung aus dem Markt heraus. Mittlerweile haben wir aber vieles im Griff, sind zu einem leistungsfähigen Unternehmen gewachsen und schauen sehr positiv in die Zukunft.

Was darf man nun auf dieser Basis von Certa Systems mittel- und langfristig erwarten?
Franz Wyss: Wir haben das umfangreiche Produktportfolio übernommen, in das mit 120 Mannjahren bereits sehr viel Entwicklungsleistung eingeflossen ist. Das bestehende Produktportfolio wird weiterentwickelt und optimiert. Darüber hinaus werden wir in einigen Bereichen gezielt Neuentwicklungen vorantreiben. Ein besonderes Highlight ist das Produkt „QMeasure“ aus dem Bereich automatisierte Qualitätssicherung. Gerade im automatisierten Prüfen und Protokollieren von Werkzeugen und Werkstücken steckt enormes Potenzial zur Steigerung der Produktivität.

Können Sie auch schon über konkrete neue Projekte sprechen?
Hans-Jörg Schriegel: Lassen Sie mich dazu zunächst festhalten: Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass aus unserer Sicht derzeit kein anderes Unternehmen in der Lage ist, unterschiedlichste Anwendungen aus den Bereichen CAD/CAM und PPS/ERP zu integrieren und an Fräs-, Erodier- und Messmaschinen sowie Handlinggeräte und Roboter von unterschiedlichsten Herstellern anzubinden, Prozesse zu automatisieren und zu überwachen. Als Certa Systems wollen wir die Automatisierung im Werkzeug- und Formenbau weiter vorantreiben und einen wichtigen Beitrag zur Initiative „Industrie 4.0“ liefern. Wir freuen uns, dass namhafte Unternehmen wie Husky-KTW, Otto Männer, Julius Blum oder auch der Bekomold Werkzeugbau uns ihr Vertrauen zur Umsetzung von Automationsprojekten entgegengebracht haben. Darüber hinaus stehen bereits weitere interessante Projekte zur konkreten Realisierung an.

Wie wird sich die Zukunft der Automation aus Sicht von Certa Systems gestalten?
Franz Wyss: Die ist heute schon sehr interessant, denn die Automation wächst in allen Bereichen. Der Anteil der Software hat enorm zugenommen. Die Potenziale sind nach wie vor groß, und unsere Produkte sind im Verbund mit dem Erowa-FMC-Konzept für unsere Zielmärkte neben dem Werkzeug- und Formenbau auch für Unternehmen aus der Lohnfertigung bereits heute marktgerecht. Darin sehen wir unsere große Chance, zukünftig eine führende Rolle zu übernehmen.

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