Großer Einstieg ins neue Verfahren

Leichtbau ist einer der Megatrends in der Automobilindustrie. Eine Möglichkeit ist, mit hochfesten Materialien konventionelle Bauteile zu ersetzen und bei gleicher Festigkeit und Belastbarkeit die Wandstärken und damit auch das Gewicht deutlich zu reduzieren. Bei Allgaier begann vor drei Jahren ein Projekt, das die Möglichkeiten der Umformung hochfester Stähle erkunden und ausloten sollte. Da hochfeste Materialien aufgrund ihrer Materialeigenschaften die gleiche oder sogar eine erhöhte Sicherheit der Werkstücke bei deutlich geringeren Wandstärken versprechen, lassen sich mit diesen Werkstoffen der Materialeinsatz und damit auch das Gewicht deutlich reduzieren.

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Die Trimill VM 13535 ist für Schrupp- und Schlichtoperationen gleichermaßen geeignet.

Die Herausforderung beim Kaltumformen solcher Materialien liegt in der geringen Dehnfähigkeit, den hohen Streckgrenzen und den gewünschten geringen Blechstärken begründet: Mit konventionellen Kaltumformwerkzeugen war es oft unmöglich, das Material beim Umformen in ausreichender Stärke an kritischen Stellen zu positionieren – Teile mit komplexen Geometrien konnten, begründet in der hohen Streckgrenze bei höchstfesten Blechen, nicht tiefgezogen werden.

Mehrere Zugoperationen statt einer
Ein Beispiel für ein Werkstück, das von einer Umstellung auf hochfestes Material profitieren sollte, waren Federtöpfe. Hier fanden die Kaltumformspezialisten eine elegante Lösung: Sie verteilten das, was bislang auf einen Zug erzielt werden sollte, auf zwei Zugoperationen: In einem Vorzug soll das Material um 8 bis 10 Prozent vorgelängt werden, der Folgezug soll das Teil auf Endkontur bringen. Mit dem Vorzug erreichen die Experten, dass auch bislang ungenutzte Bereiche mit in die Umformung einbezogen werden können und so ausreichend Material für die Endkontur quasi zur „Umverteilung“ zur Verfügung steht.

Diese Lösung erfordert in der Praxis an ein und demselben Werkstück unterschiedliche Geschwindigkeiten zwischen Stempel und Matritze – je nach Kontur müssen sich die Bewegungsgeschwindigkeiten dabei angepasst an die gewünschten Eigenschaften sehr individuell regeln lassen.

Das sagt die Redaktion

Partnerschaft macht‘s möglich
Forschung und Entwicklung nimmt bei Allgaier einen hohen Stellenwert ein. Über mehrere Jahre reifte das Verfahren Vario­tempo bis zur industriellen Anwendung. Jetzt profitieren die Partner in der Automotiveindustrie von der geballten Kompetenz der Uhinger Umformspezialisten. Die Werkzeugbauer in Uhingen wiederum haben mit Trimill einen Partner, der nicht nur eine Maschine anbieten kann, die die geforderten Parameter erfüllt, sondern der auch mit kompetentem Service und viel gewachsenem Know-how seinen Anteil zum Erfolg der Werkzeubauer in Uhingen beitragen kann. Solche tragfähigen Partnerschaften werden zunehmend zum Erfolgsfaktor – gerade auch für eine Know-how-getriebene Branche wie den Werkzeug- und Formenbau.
Richard Pergler

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DIe Heidenhain-Steuerung ist schnell und eingängig zu bedienen. Bis zu 13 m lange Werkstücke lassen sich hier bearbeiten. Meist jedoch werden die beiden Tische getrennt genutzt werden.

Das bedeutet, dass die Matritzen geteilt und die einzelnen Komponenten in unterschiedlichen Geschwindigkeiten gefahren werden. Bei den Federtöpfen war der Versuch übrigens sehr erfolgreich – hier konnte mit einem Umsteig vom bislang eingesetzten Material HC300BD+300 auf ein Stahlblech aus DP980 die Materialstärke von ursprünglich 2,5 auf nunmehr nur noch 1,0 mm reduziert werden. Das ergab eine Gewichtsreduzierung von 1180 auf nur noch 440 g. In einem anderen Beispiel, bei einem Rahmenoberteil, konnte neben einer signifikanten Materialeinsparung auch eine deutliche Verringerung der Auffederung erreicht werden. Da dieser Umformprozess auf den für Kaltumformprozesse üblichen, mit erweiterter Steuerungstechnik ausgestatteten Pressen ablaufen soll, müssen die Werkzeuge diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten abbilden. „Hierfür ist eine ausgeklügelte Mimik notwendig, die die Auf-Zu-Bewegung der Presse in die jeweils notwendige Bewegung der Teilmatritzen übersetzt“, erklärt Dieter Waidmann, Leiter Werkzeugbau bei Allgaier Automotive. „Unter anderem für diesen von Pressenfunktionen betriebenen Variotempo-Antrieb ist höchste Präzision in großen Dimensionen erforderlich.“

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„Die Trimill-Maschine ist deutlich effektiver, als es die bisherigen Maschinen waren, und das zu wirtschaftlich darstellbaren Kosten.“
Dieter Waidmann, Leiter Werkzeugbau bei Allgaier Automotive

Für Schruppen und Schlichten
Als Erweiterung ihres Maschinenparks suchten die Werkzeugbauer daher nach einem Bearbeitungszentrum, das sowohl die notwendige Steifigkeit für kräftige Schruppoperationen als auch die hohe Dynamik für Schlichtprozesse mitbringt. Da Allgaier unter anderem einen Schwerpunkt auf Außenhautteile legt, muss die neue Maschine exzellente Oberflächen erzeugen können. Dabei sollte der vorhandene Platz möglichst gut genutzt werden. Die Maschine sollte sowohl große Teile beareiten können als auch die Möglichkeit bieten, geteilt quasi auf zwei Tischen zu arbeiten. Darüber hinaus sollte sie höchste Präzision garantieren und den Einfluss von Umweltbedingungen weitestgehend ausschließen.

„Wir haben unterschiedliche Maschinenkonzepte unter die Lupe genommen und die, die uns geeignet erschienen, ausgiebig gebenchmarkt“, erklärt Waidmann. „Mit den Maschinen, die in die engere Wahl kamen, wurden Testbearbeitungen unter identischen Bedingungen ausgeführt – gleiche Werkstoffe, gleiche Bauteile, identische Fräswerkzeuge und Parameter wie Zustellungen, Vorschübe oder Drehzahlen.“ Dabei wurden Faktoren wie Oberflächenqualität, Maßhaltigkeit der Bearbeitung, Steifigkeit der Maschine, aber auch das Preis-Leistungs-Verhältnis unter die Lupe genommen.

Trends µ-genau

Variotempo
Das neu entwickelte Verfahren eignet sich zur Herstellung von Bauteilen aus Stahlblechen bis 1200 Mpa Zugfestigkeit und Aluminiumblechen. Es verschiebt die Verfahrensgrenzen des klassischen Tiefziehverfahrens. Daneben ermöglicht es in vielen Fällen erst die Machbarkeit von umformtechnisch schwierig herzustellenden Bauteilen. Die verbesserte Machbarkeit erlaubt es auch, bislang mehrteilige Baugruppen in einem Werkstück abzubilden – das bietet zusätzlich einen Kostenvorteil. Variotempo ist dank der Eignung zur Umformung hochfester Materialien ein wichtiger Schritt hin zum Leichtbau – auf diese Weise lassen sich mit dünneren Materialstärken gleiche oder bessere Festigkeiten und andere sicherheitsrelevante Eigenschaften erzielen als mit konventionellen Werkstoffen und Verfahren.

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Mit Variotempo lassen sich hochfeste Werkstoffe tiefziehen – das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Leichtbau.

Breites Spektrum
Schließlich entschieden sich die Verantwortlichen für eine Trimill VM 13535, ein 5-Achs-Bearbeitungszentrum mit einer teilbaren Aufspannfläche von 13,5 x 3,5 m, damit lassen sich Bauteile bis 13 m Länge bearbeiten. Die Z-Achse bietet 1500 mm Verfahrweg. Die beiden Bearbeitungstische sind von beiden Seiten aus voll zugänglich. Für unterschiedliche Anforderungen in der Bearbeitung lassen sich fünf Bearbeitungsköpfe, unter ihnen zwei simultane Gabelköpfe und ein 90°-Winkelkopf, automatisch einwechseln. Damit ist die Maschine für ein sehr breites Bearbeitungsspektrum gerüstet. Der Drehzahlbereich liegt zwischen 5000 und 24 000 min-1. In den Linearachsen sind jeweils Zahnstangen verbaut, in der X- und Z-Achse sorgen je vier gegeneinander vorgespannte Antriebe für exakte Positionierung. In X, Y, Z bietet die Maschine maximal 40 m/min Eilgang.

Der Arbeitsraum ist komplett geschlossen – auch von oben. Die Maschine wird mit drei voneinander getrennten Klimakreisläufen für höchste thermische Stabilität auf konstanter Temperatur gehalten. Das ist auch notwendig, da die Ansprüche an die Genauigkeit mit dem Projekt gewachsen sind – über die 13 m der X-Achse erwarten die Verantwortlichen bei Allgaier Toleranzen im Hundertstelmillimeterbereich. Dazu trägt auch das Maschinenfundament bei, das in U-Ausführung gegossen wurde und so nochmals für eine deutlich verbesserte Steifigkeit sorgt. Auch das X-Achsenbett ist in Beton gegossen.

„Die Trimill-Maschine ist deutlich effektiver, als es die bisherigen Maschinen waren, und das zu wirtschaftlich darstellbaren Kosten“, erklärt Waidmann. „Dazu kommt, dass wir in Trimill einen Maschinenpartner gefunden haben, bei dem wir uns in kompetenten Händen wissen.“

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Links: Drei voneinander getrennte Klimakreisläufe sorgen zuverlässig für thermische Stabilität.
Mitte: In Y- und Z-Achse arbeiten für höchste Präzision je vier gegeneinander vorgespannte Antriebe.
Rechts: Federtopf: Blechstärke von 2,5 auf 1,0 mm reduziert, das Gewicht sank von 1180 auf 440 g.

Weitere interessante Videos finden Sie auf dem Youtube-Kanal der werkzeug&formenbau.

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