Der Weg von der einfachen Normalie zum intelligenten Normteil erfordert viel Know-how – aber der Aufwand lohnt sich.

Der Weg von der einfachen Normalie zum intelligenten Normteil erfordert viel Know-how – aber der Aufwand lohnt sich. (Bild: Schmidt WFT, werkzeug&formenbau)

Normteile sind ein wichtiger Baustein in den auch für die Einzelfertigung im Werkzeugbau unerlässlichen Standardisierungsstrategien: Es gibt sie bereits vorgefertigt ab Katalog, und sie sparen in der Regel Zeit und auch Kosten. Aber: Für jede Schraube, die in einem Werkzeug platziert wird, muss eben auch eine entsprechende Bohrung konstruiert, das jeweilige Gewinde definiert, die Toleranzen festgelegt und dazu die passenden Bearbeitungsstrategien ausgearbeitet werden und vieles mehr – für jedes Normteil muss eine Fülle an Informationen eingegeben werden, von den Maßen der benötigten Aussparung über Oberflächenangaben bis hin zur Identnummer im Werkzeug. Wenn mehr als nur ein Normteil zu setzen ist, kommt da schon Einiges an Aufwand zusammen. Es lohnt sich, hier über eine ratio­nellere, automatisierte Arbeitsweise nachzudenken. Gerade auch in der Einzelfertigung kann es sinnvoll sein, die Möglichkeiten von Industrie 4.0 auf einen wirtschaftlichen Einsatz im eigenen Unternehmen abzuklopfen.

Bei der Schmidt Gesellschaft für Werkzeug- und Formentechnik, einem Konstruktionsbüro in Nürnberg, entstehen jährlich rund 60 Werkzeugkonstruktionen für Werkzeuge von kleinsten Dimensionen bis zum 80-t-Werkzeug. „Im Fokus steht bei uns die produktgerechte Konstruktion von Spritz- und Druckgussformen fast aller Verfahren bei geringen Herstellkosten“, umschreibt Geschäftsführer Roland Schmidt das Aufgabenfeld der CAD-Profis. „Wir konstruieren unter Siemens NX 9 und 10 – bis hin zu anspruchsvollen Mehrkomponentenwerkzeugen in allen am Markt gängigen Technologien. Wir liefern heute zwei Drittel aller Konstruktionen papierlos. So ist schon von der Systematik her sichergestellt, dass alle mit dem aktuellen Zeichnungsstand arbeiten.“

Das sagt die Redaktion
Schlauer fertigen bringt Vorteile
Wer die Programmierer von Routinetätigkeiten entlasten kann, gewinnt Kapazitäten für jene Arbeiten, die echte Wertschöpfung darstellen. Ein Auswerfer, der selbst „weiß“, welche Bohrung er braucht, wie diese herzustellen ist und wie er diese Information ans CAD/CAM-System weitergeben muss, kann die Programmierung deutlich vereinfachen. Und übrigens auch alle nachgelagerten Prozesse – vorausgesetzt, die Information wird konsequent mitgezogen. Das verspricht ein nicht unbeträchtliches Einsparpotenzial sowohl für den Werkzeugbaubetrieb als auch für den Werkzeugkunden. Hier kann es sich lohnen, mit spitzem Bleistift zu rechnen und zu überdenken, ob man seine Normteile selbst mit Informationen aufrüsten will oder auf die vorhandene Datenbank der Nürnberger Formspezialisten zugreift.
Richard Pergler

In klassischen Spritzgießwerkzeugen stecken in der Regel eine Menge an Normteilen – von Aufbauten über Führungssäulen und Schiebern bis hin zu zahllosen Schrauben. „Der Ablauf dabei ist immer der Gleiche“, erläutert Schmidt das Vorgehen. „Man sucht ein Normteil aus dem Katalog, stellt möglicherweise fest, dass die Komponente nicht 1:1 in die gegebene Konstruktion passt. Dann muss der Bauraum angepasst werden, das Normteil ist zu generieren und einzufügen, die Toleranzen sind festzulegen, das Ganze ist entsprechend der Toleranzklasse einzufärben und viele Arbeitsschritte mehr, bis das verbaute Teil und das Werkzeug, in dem es verbaut werden soll, mit allen dafür notwendigen Informationen versehen ist.“

Schmidt Schrauben

Schraube mit verschiedenen Sicherungselementen, der Abzugskörper wird jeweils automatisch angepasst.
Bild: Schmidt WFT, werkzeug&formenbau

Risiko Falscheingabe vermeiden

Zahlreiche Parameter müssen eingegeben werden – mit all den damit verbundenen Risiken: „Das reicht vom Schreibfehler in Stückliste über Bemaßungsfehler bei Toleranzen und unvollständigen Zeichnungen bis hin zu abweichenden Konstruktionsfeatures“, zählt Schmidt auf. „Dazu kommt, dass damit einem Wissensmanagement die systematische Basis fehlt. Industrie 4.0 sieht anders aus.“

Wenn Normteile die für ihren Einbau notwendigen Informationen komplett mitbringen würden, könnten viele Eingaben entfallen – übrigens nicht nur in der Konstruktion, sondern auch in der Programmierung, aber etwa auch beim Messen. Das zieht sich hin bis zur Instandhaltung. „Wir haben errechnet, dass pro Konstruktion allein beim Laden der Normteile ein Einsparpotenzial von

Schmidt Toleranzangaben

Der Flächenname ist zugleich auch die genaue Toleranzangabe.
Bild: Schmidt WFT, werkzeug&formenbau

4 h besteht“, erklärt Schmidt. „Weitere 2 h könnten beim Suchen im Katalog gespart werden, 2 h bei der Farbattributierung, 1 h bei der Automatisierung und Nachführung der Stückliste – allein hier ergibt sich pro Konstruktion ein Einsparpotenzial von rund 9 h.“

Passabler Kostenfaktor

Bei 60 Konstruktionen pro Jahr  kommen innerhalb von zwei Jahren rund 1080 h zusammen – nicht nur ein durchaus passabler Kostenfaktor, sondern auch eine Kapazitätsfrage in einer Zeit, in der gute Konstrukteure am Arbeitsmarkt kaum verfügbar sind. Daher gingen die Verantwortlichen daran, zunächst für den eigenen Bedarf eine Lösung zu entwickeln und die im eigenen Bereich verwendeten Normalienmodelle mit Daten anzureichern.

Trends µ-genau
Gentrifizierte Normteile

Der Begriff der „Gentrifizierung“ stammt aus der Sozioökonomie und bezeichnet dort einen Strukturwandel bestimmter großstädtischer Viertel, bei der eine Abwanderung ärmerer und ein Zuzug wohlhabenderer Bevölkerungsgruppen bei parallel steigenden Wohnpreisen zu beobachten ist. Roland Schmidt erwartet, dass in ähnlicher Weise „intelligente Normteile“ ihre konventionellen Pendants verdrängen werden. Er ist überzeugt, dass sich letztlich jene Normteile bei den Anwendern durchsetzen werden, die die richtige Intelligenz mitbringen, die für eine möglichst effiziente Verarbeitung notwendig ist.

Mit den herkömmlichen Methoden stießen sie indes schnell an Grenzen. Mit den inzwischen weit verbreiteten Farbcodierungen etwa lassen sich Passungen nur schwer fassen – jede Paarung ist ja anders. Und auch Rautiefen oder Fertigungsverfahren und -verfahrensfolgen lassen sich so kaum abbilden. „Die herkömmlichen Farbcodierungen sind ja ganz gut für einen ersten Überblick, aber sie allein reichen nicht, die notwendigen Informationen abzubilden – wenn man die Zahl der unterschiedlichen Farbschattierungen nicht ins Unendliche anwachsen lassen will, sind die

Schmidt Komponenten

Interface zur Bearbeitung der wiederverwendbaren Komponenten.
Bild: Schmidt WFT, werkzeug&formenbau

Möglichkeiten, über sie Informationen zu transportieren, doch sehr begrenzt“, meint Schmidt. „Deshalb sollten in einer für uns passenden Lösung die zusätzlichen Informationen direkt an den CAD-Daten hängen und so beispielsweise im CAD-System schnell und bequem weiterverarbeitet werden können.“

Zusammen mit dem Wolfurter Unternehmen Meusburger, einem der Marktführer im Bereich Normalien für den Formen-, Werkzeug-und Maschinenbau, haben die Experten der Schmidt WFT eine intelligente CAD-Normalien-Bibliothek für Siemens NX entwickelt. Die Modelle sind mit sämtlichen CAM-relevanten Attributen und Parametern ausgestattet, so dass sie den Konstruktionsprozess mit kontextsensitiven Entscheidungshilfen unterstützen. Die gewöhnlichen Normteile werden so zu „gentrifizierten“ Normteilen. Das heißt, dass beispielsweise eine Schraube „weiß“, dass sie im Werkzeug ein Gewinde benötigt, wie dieses beschaffen sein muss und auch, wie es zu fertigen ist.

Elemente auf Mausklick einfügen

„Zudem ist es möglich, etwa bei Schrauben jederzeit Sicherungselemente quasi per Mausklick hinzuzufügen oder zu entfernen. Der Bauraum wird automatisch angepasst“,  erläutert Isabel Höfel, bei Schmidt WFT Projektleiterin für den Bereich der gentrifizierten Normteile. „Und die Stückliste wird im Hintergrund gleich mit angepasst.“ Und wenn beispielsweise aus einer 6er-Schraube eine 24er wird, werden die Parameter im Hintergrund intelligent nachgezogen – also beispielsweise auch veränderte Toleranzfelder oder Anforderungen an die Oberfläche berücksichtigt. Die geänderten Informationen werden automatisch in die nachfolgende Prozesskette übertragen. Bei bereits bestehenden Programmen müssen diese nicht neu erstellt werden. Es genügt, eine Aktualisierung durchzuführen.

Profil
Schmidt Gesellschaft für Werkzeug- und Formentechnik mbH
Für ihre Kunden entwickeln und konstruieren die Mitarbeiter der Schmidt Gesellschaft für Werkzeug- und Formentechnik langlebige Spritz- und Druckgussformen für fast alle Verfahren. Dabei verstehen sich die Konstruktionsspezialisten auch auf stabile Mehrkomponentensysteme und Großwerkzeuge etwa zur Produktion von KFZ-Exterieur-Teilen. Dabei stehen bei der form- und fertigungsgerechten Produktentwicklung insbesondere die Herstellkosten stets im Fokus.
Der Erfahrungsschatz erstreckt sich von Automotive bis Zahnmedizin. Das Unternehmen übernimmt überdies die Realisierung kompletter Produktionsanlagen.

Das Ziel in der Konstruktion ist, dass etwa beim Tausch eines Steckers gegen einen anderen der Konstrukteur nicht mehr festlegen muss, wo Löcher gebohrt werden müssen und ähnliches – das alles kann die Logik von NX in Verbindung mit den Daten der gentrifizierten Komponenten.

Schmidt Groessenvergleich

Direkter Vergleich der Größenänderung der Normalien – die Anpassung der Aussparung erledigt das System automatisch.
Bild: Schmidt WFT, werkzeug&formenbau

Die Datenbank enthält aktuell rund 90 000 NX-Modelle für Standardnormteile. „Es war kein kleiner Aufwand, entsprechend zu systematisieren, die Regeln zu erstellen und über den Meusburger-Katalog für alle Normalien zu implementieren“, betont Höfel. „Aber das hat sich gelohnt – die Einsparungen allein bei uns im Konstruktionsbüro sind spürbar, und auch unsere Kunden profitieren von der hohen Datendurchgängigkeit in den Konstruk­tionen.“

Keine Zusatzinvestition erforderlich

Von der Arbeit der Konstrukteure können übrigens jetzt auch andere Formenbauer profitieren, die mit Meusburger-Normalien arbeiten: Gegen eine sehr moderate Lizenzgebühr öffnet Schmidt seine Bibliothek gentrifizierter Normteile auch für andere Nutzer, derzeit insbesondere für NX-Anwender. Weitere Zusatzinvestitionen etwa in Software sind nicht notwendig, die Lösung greift auf die vorhandenen Funktionen von Siemens NX zu. Derzeit arbeiten die Entwickler des ProSTEPiViP daran, die Fertigungsinformationen via STEP auch den Nutzern anderer CAD/CAM-Hersteller zugänglich zu machen.
Richard Pergler

Kontakt:

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