Zwei Röders-HSC-Fräsbearbeitungszentren der RXP-Baureihe sowie ein Handlingroboter.

Zu den Kernkomponenten der Zelle gehören zwei Röders-HSC-Fräsbearbeitungszentren der RXP-Baureihe sowie ein Handlingroboter auf einer Linearschiene. (Bild: Klaus Vollrath)

Im Werkzeug- und Formenbau vollzieht sich ein Wandel vom bisherigen Nebeneinander von Einzelmaschinen mit hoher Personalintensität zu komplexen Zellen mit integriertem Handling, in denen unterschiedliche Anlagentypen vollautomatisch zusammen­arbeiten. Wesentlicher Vorteil ist eine höhere Auslastung, da die Anlagen mannlos im 24/7-Einsatz durchlaufen können.

Jürgen Kopsieker, Leiter Werkzeug- und Formenbau im Werk Neidlingen von Festool, erklärt: „Wir sind mit insgesamt rund 25 Mitarbeitern für die Herstellung von Druckgieß-, Spritzgieß- sowie Duroplastwerkzeugen für die Festool Gruppe zuständig.“ Die Abteilung ist als Profitcenter konzipiert, welches personell ebenso wie technisch und preislich mit allen Anforderungen des Marktes mithalten können muss. Ihre Aufträge erhält sie nicht direkt von den Werken der Gruppe, sondern von Systemlieferanten, die von der Muttergesellschaft mit der Entwicklung und Herstellung neuer Produkte beauftragt wurden.

Bei diesen Unternehmen muss der Neidlinger Werkzeugbau den Zuschlag jeweils im direkten Preis- und Leistungsvergleich mit dem freien Markt erringen. Andererseits kann die Abteilung ihrerseits selbst Aufträge am freien Markt hereinholen, um ihre Kapazitäten auszulasten.

Zur Leistungspalette gehören neben der reinen Herstellung der Werkzeuge auch Dienstleistungen und Beratung bei Konstruktion und Engineering. Hierbei kommen moderne CAD-CAM-Werkzeuge wie Creo-Parametrics oder Hypermill zum Einsatz.

Moderne CAD-CAM-Werkzeuge kommen zum Einsatz.
Für Engineering und Arbeitsvorbereitung kommen moderne CAD-CAM-Werkzeuge zum Einsatz. (Bild: Klaus Vollrath)

Umfassende Modernisierung erfordert Automatisierung

„Vor rund dreieinhalb Jahren waren wir noch eine Werkzeugbau-Abteilung alten Stils mit fünf einzelnen Maschinen im klassischen Werkzeugmaschinengrün“, ergänzt Tomislav Jurisa, Teamkoordinator Fertigung. Vorhanden waren je eine Draht- und eine Senkerodiermaschine sowie drei Fräsbearbeitungszentren, davon nur eines mit fünf Achsen.

Diese Maschinen wurden in althergebrachter Weise ständig von Mitarbeitern betreut, die neben der Beobachtung der Bearbeitungsabläufe Aufgaben wie das Auf- und Abspannen von Werkstücken, das Be- und Entladen der Maschinen, das Einrichten sowie den Wechsel von Werkzeugen erledigten. Darüber hinaus kümmerten sich die Betreuer auch noch um die Qualitätssicherung.

Die Auslastung der Maschinen war damit nicht zufriedenstellend. Zu diesem Zeitpunkt fiel im Unternehmen die Entscheidung, diesen Bereich aus strategischen Gründen mit erheblichem Investitionsaufwand umfassend auf den neuesten Stand der Technik zu bringen.

Der Jobmanager RMSMain koordiniert sämtliche Abläufe in der Zelle.
Der Jobmanager RMSMain koordiniert sämtliche Abläufe in der Zelle und kommuniziert mit der Arbeitsvorbereitung sowie mit dem ERP-System von Festool. (Bild: Klaus Vollrath)

„Wir wollten eine automatisierte Fertigungszelle, in der unterschiedlichste Technologien wie Fünfachsfräsen, Senkerodieren, Koordinatenmessen und zusätzlich eine professionelle Nassreinigung vollständig integriert waren“, verrät Kopsieker, „umso alle unsere Schlüsseltechnologien automatisiert und verknüpft betreiben zu können“. Hinzu kamen Speicher für Fräswerkzeuge und Elektroden sowie für auf Erowa-Paletten aufgespannte Werkstücke.

Sämtliche Transportaufgaben erledigt ein auf einer Linearschiene laufender Handlingroboter. Innerhalb dieser Zelle erfolgen alle Abläufe komplett mannlos. Aufgabe der Mitarbeiter ist die Versorgung der Zelle mit den zu bearbeitenden Werkstücken und den nötigen Werkzeugen. Darüber hinaus obliegt ihnen die Erstellung der NC-Programme für alle eingebundenen Fertigungsverfahren. Zentral gesteuert wird die Zelle über den Jobmanager RMSMain von Röders. Dieser ist in der IT-Hierarchie des Unternehmens nach oben an das ERP-System IK Office angebunden.

Tomislav Jurisa (links) und Jürgen Kopsieker.
Tomislav Jurisa (links) und Jürgen Kopsieker an der Steuerung der Röders HSC-Fräse RXP 601 DSH. (Bild: Klaus Vollrath)

Röders übernimmt die Gesamtverantwortung für das Automatisierungsprojekt

„Für die Wahl von Röders als Partner mit Gesamtverantwortung für die komplette Zelle gab es im Prinzip zwei Gründe“, sagt Jurisa. Zum einen gab es aus anderen Röders-Installationen innerhalb der Festool-Gruppe bereits langjährige Erfahrungen mit der Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Präzision der von Röders hergestellten Fräsbearbeitungszentren. Zum anderen verfügt Röders bereits seit Jahren über umfassende Erfahrungen aus der Installation von Komplettlösungen voll automatisierter Fertigungszellen, einschließlich der Einbindung von Fremdfabrikaten unterschiedlichster Hersteller.

Nach Abschluss der Installation bilden nun insgesamt vier Röders Anlagen – zwei fünfachsige Fräsbearbeitungszentren der RXP-Baureihe, der Handlingroboter und der Jobmanager RMSMain – das Rückgrat der Fertigung bei Festool. Hinzu kommen Speicher für 110 palettierte Werkstücke und 258 Werkzeuge. Ergänzt wird dies noch um die Kapazität der Werkzeugwechsler in den Fräsmaschinen selbst.

Auf einen Blick: Die Röders-RXP-Maschinen

Die Röders-HSC-5-Achs-Fräsmaschinen der RXP-Baureihe wurden für höchste Genauigkeitsanforderungen bei zugleich hohen Zerspanungsleistungen insbesondere bei der Bearbeitung harter Werkstoffe ausgelegt. Sie verfügen über reibungsfreie Linear-Direktantriebe, die eine ebenso dynamische wie auch hochpräzise Bearbeitung ermöglichen. Wesentliche Voraussetzung hierfür sind hochgenaue optische Maßstäbe in allen Achsen – wenn es um Präzision geht, werden keine Kompromisse gemacht. Die Maschinen können aufgrund ihrer Genauigkeit und Dynamik bei entsprechender Ausrüstung auch zum Koordinatenschleifen eingesetzt werden. Zusätzlich weist die Z-Achse einen patentierten, reibungsfreien Vakuum-Gewichtsausgleich auf.

 

Zur Gewährleistung höchster thermischer Stabilität verfügen die Anlagen über ein ausgeklügeltes Temperaturmanagement. Die Temperatur des Mediums, das alle wesentlichen Anlagenkomponenten durchströmt, wird mit einer Genauigkeit von ±0,1 K, bei bestimmten Anwendungen auch ±0,02 K geregelt. Weitere Besonderheit ist die eigene, auf PC-Technologie basierende Steuerung RMS6, deren Funktionalitäten genau auf die ­spezifischen Aufgabenstellungen HSC-Hochpräzisionsfräsen beziehungsweise Koordinatenschleifen zugeschnitten sind.

 

Da Röders die Steuerung auf Basis von Industrie-PCs und des Windows-Betriebssystems selbst entwickelt hat, sind auf Wunsch jederzeit Updates sowohl der Hardware als auch der Software verfügbar, so dass ein Veralten der Maschinen seitens ihrer Steuerung quasi nicht mehr vorkommen kann. Bei der aktuellen Ausbaustufe der Steuerung mit der Funktion Racecut erfolgt die Korrektur von Abweichungen mit der außergewöhnlich hohen Abtastfrequenz von 32 kHz in jedem Regelkreis. Dies ermöglicht deutliche Bearbeitungszeitreduktionen bei zugleich optimaler Oberflächengüte.

Die RXP 601 DSH wird schwerpunktmäßig zur Bearbeitung von Graphitelektroden eingesetzt, während mit der größeren RXP 950 DSH vor allem die Hartbearbeitung erfolgt. Als Werkstoffe kommen dort überwiegend der Warmarbeitsstahl 1.2343 und teils auch der Kaltarbeitsstahl 1.2379 zum Einsatz. Die Rohlinge werden im bereits gehärteten Zustand (54 bis 60 HRC) aus dem Vollen geschruppt und anschließend gefinisht.

Im Vergleich zum früheren Vorgehen – Schruppen im weichen Zustand, dann Härten und schließlich finishen – können so zum einen die Durchlaufzeiten und zum anderen auch die Kosten erheblich reduziert werden. Letztere vor allem, da die Anzahl der manuellen Arbeitsgänge deutlich gesenkt werden konnte.

Der auf einer Linearschiene laufende Roboter bedient drei Werkzeugmaschinen, die Koordinatenmessmaschine und die Waschanlage.
Der auf einer Linearschiene laufende Roboter bedient drei Werkzeugmaschinen, die Koordinatenmessmaschine und die Waschanlage. Material, Paletten und Werkzeug sind in Regalen aufgereiht. (Bild: Klaus Vollrath)

Auch Messgeräte sind in die Fertigungszelle integriert

Neben den beiden Fräsmaschinen gehören zur Zelle noch eine Koordinatenmessmaschine von Hexagon, eine Senkerodiermaschine von Exeron sowie eine automatische Waschanlage von Mafac. Die Ver- und Entsorgung der Zelle mit Material und Werkstücken erfolgt über eine Schleuse. Hier werden die auf Paletten aufgespannten Rohlinge ein- und fertig bearbeitete Formkomponenten ausgeschleust. Alle anderen Abläufe innerhalb der Zelle erfolgen automatisch, koordiniert durch den Jobmanager RMSMain, ohne dass Mitarbeiter eingreifen müssten.

Werkstück wird in die Waschanlage eingebracht.
Ein palettiertes Werkstück wird in die Waschanlage von Mafac eingebracht. (Bild: Klaus Vollrath)

„Ich bin regelrecht begeistert darüber, wie gut die einzelnen Systeme in der Zelle zusammenspielen“, freut sich Kopsieker. Der Jobmanager RMSMain ist als offenes System konzipiert und verfügt über alle zur Kommunikation mit eigenen sowie mit fremden Systemen erforderlichen Schnittstellen. Die hierbei erforderliche Zusammenarbeit der Röders-Fachleute mit den Spezialisten der Firmen Hexagon, Exeron und Mafac habe hervorragend geklappt, sodass von Beginn an alle Anlagen in der Zelle problemlos zusammenarbeiteten und die erwartete Produktivität und Bauteilqualität sicher erreicht werden konnte.

Die Zelle laufe jetzt bereits seit Mitte 2019 ohne nennenswerte Probleme. Die Auslastung im 24/7-Betrieb liege heute sehr deutlich über den früher erreichten Werten. „Mit der jetzigen Auslastung sind wir sehr zufrieden“, so Kopsieker.

Mitarbeitende müssen bei Automatisierung 'mit ins Boot'

„Bei einer solch tiefgreifenden Umgestaltung einer Abteilung in vergleichsweise kurzer Zeit kommt es entscheidend darauf an, dass die Mitarbeiter dahinterstehen“, erläutert Jurisa. Qualifiziertes und engagiertes Personal sei in einem hochtechnischen Unternehmen wie Festool das entscheidende Betriebskapital. Wenn man es nicht schaffe, die Belegschaft ‚mitzunehmen‘und von den Vorteilen der Neugestaltung zu überzeugen, komme man selbst mit der Beschaffung der bestmöglichen Technologie nicht weit. Immerhin ging es darum, die gesamte bisherige Arbeitsweise durch grundlegend neue Arbeitsprozesse abzulösen.

Zum Glück komme ein großer Teil der Belegschaft aus dem ebenso bodenständigen wie technikaffinen Menschenschlag in der Region, dem bekanntlich nur Hochdeutsch Mühe mache. Sie hätten die Notwendigkeit und die Vorteile der Umstellung nicht nur akzeptiert, sondern sich aktiv dafür engagiert, und das selbst in Stresssituationen, wenn es galt, die laufende Produktion inmitten der Umstellung aufrechtzuerhalten.

Als Vorteil erwies sich hierbei die Tatsache, dass die von Röders entwickelte Software auf dem Betriebssystem Windows basiert und deshalb vergleichsweise leicht zu erlernen war. Auch waren Struktur und Handhabung der Programmierung sowohl bei den Maschinensteuerungen als auch beim Jobmanager gut an die betriebstypischen Abläufe angepasst.

Insgesamt wurden nur zwei Schulungen benötigt, zunächst eine Woche für die Maschinen und später nochmal drei Tage für den Jobmanager. Wenn es danach in der Hochlaufphase einmal hakte, sei die Hilfe schnell und kompetent erfolgt, teils mithilfe der Fernwartung durch die Zentrale in Soltau, teils direkt durch das ortsnahe Servicepersonal von Röders.

Bearbeitet von Julia Dusold

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