Professor Wolfgang Boos

Professor Boos: "Zur Umsetzung einer ganzheitlichen digitalen Vernetzung des Shopfloors empfiehlt es sich, drei wesentliche Handlungsfelder zu adressieren: Auftragsabwicklung, Mitarbeiterführung sowie Wissen und Lernen. Voraussetzung hierzu ist die Schaffung von Transparenz durch die echtzeitnahe Aufnahme und Analyse von relevanten Daten und Informationen." - Bild WBA

Herr Professor Boos, Industrie 4.0 ist zwar in aller Munde, aber sehr viele Verantwortliche in den Unternehmen verweigern sich diesem Begriff. Ist das Thema überhaupt relevant für den Werkzeug- und Formenbau?

Aber Ja! Die vierte industrielle Revolution – Industrie 4.0 – ist weiterhin ein allgegenwärtiges Thema und verspricht einen sprunghaften Anstieg der Produktivität auf Basis digital vernetzter Produktionsmittel. Sehen Sie, mit der Entwicklung von Smartphones begann bereits frühzeitig die digitale Vernetzung des Privatlebens und weitet sich aktuell auch auf Gebäude, sogenannte Smart Homes, aus. Vom steigenden Grad der digitalen Vernetzung profitiert nicht nur das Privatleben, auch die Industrie nutzt ihr Potenzial zur Verbesserung der entscheidenden Zielgrößen Zeit, Kosten und Qualität. Und auch die Unternehmen und Abteilungen im Werkzeug und Formenbau können davon profitieren.

Wo finden interessierte Unternehmen zu diesem Thema kompetente Ansprechpartner?

Die WBA Aachener Werkzeugbau Akademie forscht bereits seit mehreren Jahren gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen und Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT an dem Thema der digitalen Vernetzung, sowohl in der Serienproduktion als auch speziell in der Unikatfertigung des Werkzeugbaus. Ergebnisse dieser Forschung konnten im Rahmen der Studie "Erfolgreich Digital Vernetzen auf dem Shopfloor im Werkzeugbau" in Form von vielfältigen praktischen Anwendungskonzepten dargestellt und erläutert werden. In unserem Artikel auf den folgenden Seiten geben wir in einem Artikel einen Überblick über die zentralen Erkenntnisse.

"Insbesondere auf dem Shopfloor können die Potenziale der digitalen Vernetzung realisiert werden, um die aktuellen und künftigen Herausforderungen zu meistern." Professor Wolfgang Boos, geschäftsführender Gesellschaft der WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH

Was bedeutet der Begriff "Digitalisierung" eigentlich in diesem Kontext genau?

Im allgemeinen Sinn versteht man unter dem Begriff der Digitalisierung die Erfassung, Aufbereitung und Speicherung von Daten. Die digitale Vernetzung geht noch einen Schritt weiter, indem Menschen, Maschinen, Objekte und Systeme mit dem Ziel einer signifikanten Nutzensteigerung vernetzt werden. Für Werkzeugbaubetriebe ergeben sich in diesem Zusammenhang vielfältige Potenziale. Mit Hilfe der systemübergreifenden Nutzung von Daten können beispielsweise die stetig steigende Komplexität auf dem Shopfloor beherrscht und die Effizienz gesteigert werden sowie gleichermaßen Fehler vermieden werden. Es besteht jedoch eine Skepsis des deutschen Werkzeugbaus gegenüber der Umsetzung von Maßnahmen zur digitalen Vernetzung. So arbeiten derzeit lediglich 31 Prozent der Werkzeugbaubetriebe aktiv an der Umsetzung einer digitalen Vernetzung.

Warum müssen sich Werkzeug- und Formenbauer mit der Digitalisierung beschäftigen?

Vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen müssen sich Werkzeugbaubetriebe den Entwicklungen der vierten industriellen Revolution stellen und ihre Potenziale ausschöpfen. Vier wesentliche Herausforderungen können aktuell für den Werkzeugbau identifiziert werden. Die erste Herausforderung ist die Verkürzung von Produktlebenszyklen, die eine zunehmende Integration des Werkzeugbaus in den Produktentwicklungsprozess und eine zuverlässig schnelle Werkzeugbereitstellung erfordert. Eine zweite entscheidende Herausforderung ist das Kompensieren des drohenden Wissensverlusts, der sich im Zuge des Ausscheidens älterer und erfahrener Mitarbeiter und auch aufgrund des Nachwuchsmangels ergibt. Ebenso ist das Führen und das Motivieren junger Mitarbeiter einem Wandel zu mehr Verantwortung und auch mehr Abwechslung ausgesetzt und stellt somit eine dritte zentrale Herausforderung dar. Und schließlich resultiert die Globalisierung in einem Aufkommen neuer Marktteilnehmer insbesondere aus Asien und Osteuropa, die aufgrund von geringeren Faktorkosten deutlich günstiger produzieren können als die deutschen Unternehmen.

Wie kann hier Digitalisierung helfen?

All diese Herausforderungen haben große Auswirkung auf den Ort der Leistungserstellung, den Shopfloor, auf dem durchschnittlich 77 Prozent der Beschäftigten eines Werkzeugbaubetriebs tätig sind. Insbesondere auf dem Shopfloor können die zuvor genannten Potenziale der digitalen Vernetzung realisiert werden, um die beschriebenen Herausforderungen zu meistern.

Wie können Unternehmen vorgehen?

Zur Umsetzung einer ganzheitlichen digitalen Vernetzung des Shopfloors empfiehlt es sich, drei wesentliche Handlungsfelder zu adressieren: Auftragsabwicklung, Mitarbeiterführung sowie Wissen und Lernen. Voraussetzung hierzu ist die Schaffung von Transparenz durch die echtzeitnahe Aufnahme und Analyse von relevanten Daten und Informationen. Im Artikel "Im Zeichen von Industrie 4.0" haben wir die Handlungsfelder näher beschrieben sowie konkrete Lösungskonzepte für jedes dieser Handlungsfelder vorgestellt. nh

Profil

WBA Werkzeugbauakademie Aachen

Die WBA ist der zentrale Ansprechpartner für Fragestellungen der Branche Werkzeugbau weltweit. Im Mittelpunkt der Aktivitäten der WBA stehen unter dem Motto "Unikate in Serie" eine kundenorientierte Industrieberatung, eine anforderungsgerechte Weiterbildung sowie eine innovative Forschung und Entwicklung im eigenen Demonstrationswerkzeugbau. Durch die Abbildung der gesamten Prozesskette können neue Lösungen, insbesondere im Rahmen von Industrie 4.0, in einer realen Arbeitsumgebung mit einem modernen und teilweise automatisierten Maschinenpark erprobt und das erlangte Wissen in den Bereichen Industrieberatung und Weiterbildung der Branche zugänglich gemacht werden. Durch die enge Verbindung zur RWTH Aachen und den Aachener Fraunhofer-Instituten sowie einem Netzwerk aus mehr als 80 Werkzeugbaubetrieben und Zulieferern kann die WBA mit starken Partnern die Probleme der Branche aufgreifen und lösen. Die einzigartige Benchmarking-Datenbank des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen als strategischer Partner stellt die Wissensbasis für sämtliche Aktivitäten dar. Schwerpunktthemen werden in aktuellen Studien vertieft. Diese geben außerdem Auskunft über Trends und Entwicklungen von Markt und Wettbewerb.

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